Konferenzen & Veranstaltungen

Fachtagung: Gemeinsam gegen Gewalt im sozialen Nahraum

Von: Hubert Lautenbach

 

Dokumentation der Fachtagung vom 16./17. Mai 2022

Häusliche Gewalt ist ein Querschnittsthema, das viele Arbeitsfelder in unterschiedlicher Weise berührt. Die Tagung im Mai 2022 in Berlin hatte zum Ziel, durch Fachvorträge und Workshops arbeitsfeldübergreifend vorhandenes Wissen zu den Themen häusliche Gewalt, Gewalt in Partnerschaften und Auswirkungen auf das Kindeswohl zu überprüfen und zu erneuern sowie für häusliche bzw. geschlechtsspezifische Gewalt zu sensibilisieren. Daher bot die Veranstaltung gleichermaßen Raum für eine themenbezogene Vernetzung zwischen den Arbeitsfeldern wie für die aktive arbeitsfeldspezifische Auseinandersetzung, Reflexion und Aneignung der angebotenen Themen. Gemeinsam mit rund 70 Teilnehmenden wurden weitere Möglichkeiten für die Implementierung neuer Präventions- und Interventionsansätze ausgelotet.

 

Präsentationen der Vorträge

Dokumentationen der Workshops

WS Arbeit mit gewaltausübenden Menschen

Referent*innen: Isabella Spiesberger und Thomas Arend, Berliner Zentrum zur Gewaltprävention (BZfG e. V.)

In diesem Workshop wurden Teilaspekte und Schwerpunkte der Arbeit des Berliner Zentrums für Gewaltprävention (BZfG) vorgestellt. Das BZfG arbeitet nach dem Standard der Bundesarbeitsgemeinschaft für Täterarbeit Häusliche Gewalt, das ein Angebot für Menschen bereitstellt, die gegenüber ihrer (Ex-)Partnerin bzw. ihrem (Ex-)Partner gewalttätig geworden sind. Nach einem fachlichen Input u. a. auch zu Täterstrategien und einer kurzen Präsentation der praktischen Arbeit anhand ausgewählter Methoden, ging es mit den Teilnehmenden in den Austausch über Schnittstellen zum eigenen Tätigkeitsfeld und in die Diskussion, wie eine interdisziplinäre Kooperation gelingen kann.

Ablauf und zentrale Inhalte

Unterschiedliche Formen von Gewalt wurden präsentiert (physische, psychische, soziale, sexuelle oder ökonomische Gewalt). Gewalt findet immer als zielgerichtete Aktion statt. In Paarbeziehungen können verschiedene Arten von Gewaltdynamiken entstehen, die situative Gewalt kommt im Beratungskontext am häufigsten vor.

Der Zugangsweg zum Projekt läuft i.d.R. über Selbstmelder, teilweise wird aber auch über Jugendämter oder Polizei vermittelt. Voraussetzung ist, dass ein Tätergeständnis vorliegt. Das Programm ist wie folgt strukturell aufgebaut: a) ein gemeinsames Gespräch mit Täter und der (Ex-)Partnerin (weitere gemeinsame Sitzungen sind allerdings nicht vorgesehen, da es sich nicht um eine Paartherapie handelt), b) 5 Einzelgespräche mit dem Täter, c) Teilnahme am Gruppenprogramm, d) Nachsorgegespräche und bei Bedarf e) Krisengespräche nach dem Kursende. Die Täterarbeit wird durch vielfältige Methoden gestaltet.

Weiter wurden unterschiedliche Täterstrategien angesprochen. Es wird als wichtig erachtet, diese Strategien zu kennen und offen anzugehen. Daran anknüpfend können auch verschiedene Strategien seitens Täter angewendet werden, wenn Kinder involviert sind (z. B. Riskantes Verhalten, Probleme bei der Übergabe der Kinder, Drohungen).

Aktuell gibt es keine langfristigen Evaluationen des Programms. Die eigene Evaluation des BZfG fällt positiv aus.

Kernaussagen und wesentliche Diskussionspunkte

Die Ziele der Täterarbeit liegen in der Verhinderung weiterer Gewalt und der Erhöhung der Sicherheit für die Frauen und Kinder. Die Männer sollen Verantwortungsübernahme ihres eigenen Handelns anerkennen. Zukünftige Beziehungen ohne Gewalt sollen wieder möglich werden. Dafür müssen die Persönlichkeit der Täter und die eigenen Ressourcen aufgebaut werden. Die Täter müssen lernen, körperliche Signale für Stress zu erkennen und Bedürfnisse zu äußern (z. B. Anerkennung, Ängste).

Erlebnisse aus der Kindheit werden von den Tätern häufig reproduziert. Viele Täter wissen um ihre eigenen, falschen Verhaltens- und Handlungsweisen. Dieser oft vorhandene Widerstand sich damit zu befassen, wird durch stetige Reflexion abgebaut

Sekundäre Problemen der Täter werden abgefragt und anschließend an entsprechende Stellen weitervermittelt (z. B. Suchtberatungsstellen). Die Probleme können allerdings zeitgleich angegangen werden.

Die Befähigung zur deutschen Sprache ist Voraussetzung zur Programmteilnahme. In Berlin gibt es einzelne türkische/arabische Angebote sowie Angebote mit Dolmetschern. In diesem Kontext werden auch kulturelle Vorurteile besprochen. Die Referent*innen verweisen auf überall geltende Menschenrechte, die vorgeschobene kulturelle Aspekte ungültig machen.

Frauen als Täter*innen werden in dem Programm des Beratungszentrums noch nicht begleitet. Generell sei noch recht wenig über Frauen als Täter*innen bekannt, hier herrscht noch Forschungsbedarf.

Es wurde schließlich erörtert, dass es zu wenige Angebote in Schnittstellen und bei der Vernetzung der Arbeitsfelder gibt. 

WS Männlichkeitsanforderungen als Nährboden für Gewalt

Referent*in: Jana Haskamp

Zu Beginn des Workshops wird versucht, sich dem Begriff „Männlichkeitsanforderungen“ zu nähern, um sich dann anzuschauen, welche Personen mit den umschriebenen Begriffen von „fragiler Männlichkeit oder „toxischen Männlichkeit“ als Männer bezeichnet werden, die im Patriarchat belohnt werden. Zu Beginn des Impulsvortrags zeigt die Referent*in einen Werbeclip. Dieser soll beispielhaft verdeutlichen, wie männliches Verhalten konstruiert wird. Der Clip dient dazu, mit den Teilnehmenden des Workshops in einen ersten Austausch zu kommen.

Danach kommt es zusammen mit den Teilnehmenden zum Sortieren und Definieren von Begrifflichkeiten. Es wird besprochen, dass heterosexuellen Männern Privilegien zuteilwerden, welche Männer, die sich nicht als heterosexuelle Cis-Männer identifizieren (z. B. trans Männer/Männer mit trans Hintergrund, inter* Männer, nicht heterosexuelle Cis-Männer, schwule Cis-Männer etc.) zum Teil verwehrt bleiben.

Die Dozent*in führt aus, dass Männlichkeit nicht die Summe dessen ist, was Jungen oder Männer tun oder sind. Männlichkeit ist vielmehr mit heteronormativen Anforderungen verbunden, mit denen sich alle auseinandersetzen müssen, die als Junge oder Mann wahrgenommen werden oder sich als solche fühlen wollen. Die Vorstellung von Männlichkeit ist dabei inhärent patriarchal und in einer Kultur der Zweigeschlechtlichkeit sind Männlichkeit und Weiblichkeit als relationale Differenzkonstruktionen markiert. Männlichkeit muss erlernt und angeeignet werden (doing masculinity) und setzt die Erwartungshaltung einer heteronormativen Gesellschaft voraus. Der Verlust von Männlichkeitsmarkern ist für viele Männer sehr bedrohlich, da Verweiblichung und somit Ausschluss damit einhergehen. Männlichkeitsanforderungen dienen als Nährboden für Gewalt. Um ihnen gerecht zu werden, orientieren sich Jungen an unerreichbaren Idealbildern von Männlichkeit, welche oft mit Macht, Privilegien, Geld, Zugängen und toxischen Verhalten gegenüber anderen nicht-heterosexuellen männlichen Personen verbunden ist. Es gibt geradezu eine hysterische Angst bei heterosexuellen Jungen und Männern, als weiblich oder schwul und somit als unmännlich zu gelten oder wahrgenommen zu werden. Daher bemühen sich Jungen und Männer in der Regel sehr, eindeutige Unterscheidung herzustellen und die eigene Lebensweise als überlegene und einzig akzeptable Daseinsform darzustellen – d. h. Überlegenheit und Souveränität (machtvoll) zu präsentieren. Dass dies für fragile und toxische Männlichkeit sorgt, wird im nächsten Schritt erarbeitet. Es werden die dadurch offensichtlichen Probleme von Jungen und Männern (höheres Unfallrisiko & Risikoverhalten, mehr vollendete Suizide, höherer Substanzkonsum, verengtes Berufswahlverhalten, überwiegend Täter körperlicher & sexualisierter Gewalt, weniger Zugang zum eigenen Gefühls- und Sexualleben, schlechte bzw. fehlende Selbstsorge etc.) dargelegt.

Zum Abschluss geht es mit den Teilnehmenden in die Diskussion, inwiefern Schwierigkeiten bei der kritischen Auseinandersetzung mit eigener Männlichkeit und das Wissen um Männlichkeitsanforderungen für die Gewaltprävention in der praktischen Arbeit zu nutzen ist.

WS Gewalt, Kontrolle und digitale Medien

Referent*in: Cordelia Moore, Beraterin und Trainerin für Digitale Gewalt, Hamburg

Ausspioniert durch Stalkerware (Spionage-Apps), erpresst mit intimen Fotos - digitale Medien sind heute auch in Beziehungsgewalt präsent. Wie können Fachkräfte auf diese Herausforderungen reagieren? Dieser Workshop bot einen Überblick über verschiedene Formen digitaler Beziehungsgewalt. Gemeinsam wird erarbeitet, wie Betroffene gut unterstützt werden können.

 

Ablauf und zentrale Inhalte

Zum Einstieg wurde geklärt, was unter digitaler Gewalt zu verstehen ist. Dabei wurde deutlich, dass es wie im Analogen um Macht und strukturelle Diskriminierung geht und es sich um die Fortsetzung bestehender Gewaltverhältnisse im Digitalen handelt. Als Besonderheit digitaler Gewalt wird herausgestellt, dass digitale Medien Nähe schaffen und Raum für Machtmissbrauch entsteht.  Bei der digitalen geschlechtsspezifischen Gewalt spielt außerdem der Digital Gender Gap eine Rolle und die Vielfalt der technischen Möglichkeiten und beständigen technischen Weiterentwicklungen stellen eine große Herausforderung bei der Bekämpfung dar.

 

Verschiedene Formen digitaler Gewalt werden vorgestellt und die Teilnehmer*innen tauschen sich dazu aus, welche ihnen bei ihrer Arbeit begegnen bzw. nicht begegnen. Viele Phänomene sind noch nicht im Bewusstsein (z. B. Stalker Apps). Das Dunkelfeld digitaler Gewalt ist groß und die Kenntnislage bisher gering (wenig Forschung, Zahlen und Daten). Demgegenüber steht ein großer Informationsbedarf. Abschließend tauschen sich die Teilnehmer*innen dazu aus, welche Ressourcen sie schon haben und wie die optimale Unterstützung für Betroffene in ihrer Arbeit aussehen würde.

 

Kernaussagen und wesentliche Diskussionspunkte

· Deutlich wurde, wie wichtig digitale Medien in unserem Alltag geworden sind und dass diese auch vielfältige positive Zwecke erfüllen (z. B. Alltagserleichterung, Informationsbeschaffung, Austauschmöglichkeit, Vernetzung und Spaß). Entsprechend problematisch ist die häufige Empfehlung bei häuslicher Gewalt auf digitale Medien zu verzichten → Es kann nicht sein, dass Frauen abgeschnitten werden durch Wegnahme von Handys. → Ein Umdenken in der Beratung ist erforderlich.

· Zur Überprüfung von Handys auf Spionage-Software sind detaillierte technische Kenntnisse erforderlich. Hier bedarf es einer Beratungsstruktur mit Spezialist*innen, auf die verwiesen werden kann. Cordelia Moore geht davon aus, dass sich diese entwickeln wird (bisher gibt es nur wenige entsprechende Beratungsstellen wie die in Hamburg zu Cyber-Stalking.

· Schutzsoftware gibt es keine.

· Überwachung findet meistens über Accounts statt (z. B. Standortbestimmung über Google-Accounts). Diese müssen alle durchgegangen werden (dabei auch an weniger offensichtliche Accounts wie z. B. Couchsurfing denken). Dabei helfen häufig schon einfache Mittel, wie z. B. Einstellungen auf privat und Passwortänderungen.

· In der konkreten Beratungsarbeit ist außerdem Aufklärung wichtig. Zeit muss sich genommen werden für Gefährdungseinschätzungen.

WS Umgangsrecht und Gewaltschutz

Referent*in: Dorothea Hecht, Frauenhauskoordinierung e. V., Fachanwältin für Familienrecht

Die Referentin erläuterte zu Beginn ihres Impulsvortrags, dass die bestehenden Vorgaben aus dem Umgangsrecht dem Schutz- und Distanzbedürfnis von Frauen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt in sozialen Nahbeziehungen betroffen sind, nach wie vor entgegenstehen.

In der familiengerichtlichen Praxis wird dem Umgangsrecht des Vaters oftmals der Vorzug vor dem Gewaltschutz von Mutter und Kind gegeben. Diese Entscheidungen zum Umgangsrecht zugunsten des gewaltausübenden Elternteils bringen Frauen in Kontaktsituationen und somit gefährliche Begegnungen mit der Person, vor der sie sich und ihre Kinder durch Trennung zu schützen versuchen. Geschlechtsspezifische Gewaltdynamiken sind teils subtil aggressiv, einschüchternd und dominanzbetont, teils offen bedrohlich für Frauen. Das (mit)erleben häuslicher Gewalt ist für Kinder immer eine Kindeswohlgefährdung. Die Gewaltspirale kann sich für Frauen und Kinder somit trotz Trennung über Jahre fortsetzen. Die Trennungsphase ist für eine Frau und ihre Kinder statistisch gesehen die gefährlichste Zeit für Bedrohung, Stalking, körperliche und sexualisierte Gewalt.

Daher sind Änderungen im Kontext des Umgangsrechts mehr als notwendig, um endlich die Situation der gewaltbetroffenen Frau zu berücksichtigen.

Weiterhin erläutere sie, dass die Istanbul Konvention die Vertragsstaaten in Artikel 31 auffordert, gesetzgeberische Maßnahmen sicherzustellen, die in Fällen häuslicher Gewalt bei Entscheidungen zum Besuchs- und Sorgerecht, die die Kinder betreffen, berücksichtigt werden. Das umfasst auch Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Ausübung des Besuchs- und Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit der Opfer oder Kinder gefährdet. Gewaltschutz muss somit vor Umgangsrecht gelten. Das Sorge-, Umgangs- und Unterhaltsrecht muss gemäß den Vorgaben der Istanbul Konvention reformiert werden, damit Entscheidungen zum Umgang nicht länger mit zum Beispiel Anordnungen zum Gewaltschutz kollidieren.

In einer anschließenden Gesprächsrunde mit den Workshopteilnehmer*innen werden Berührungspunkte zu dem Thema und Erfahrungen im beruflichen Alltag (z. B. im Kontext Frauenhausarbeit und/oder in der Beratungsstelle gegen häusliche Gewalt) ausgetauscht.

So können gerichtliche Entscheidungen zum Umgangsrecht beispielsweise auch die Arbeit von Frauenhäusern mit geschützter Adresse gefährden, wenn die gewaltausübende Person durch den Umgang mit den Kindern den Aufenthaltsort der Frau in Erfahrung bringt. Die (temporäre) Aussetzung des Umgangsrechts wäre während der Zeit im Frauenhaus dringend notwendig. Dies wäre ebenfalls hilfreich, damit sich die gewaltbetroffene Frau zunächst in geschütztem Rahmen stabilisieren kann. Auch Auflagen für die gewaltausübende Person (z. B. Teilnahme an Angeboten der Täterarbeit) könnten weitere gute Möglichkeiten sein, um den Schutz gewaltbetroffener Frauen zu verbessern.

Die Teilnehmer*innen berichten auch davon, dass Frauen immer die Beweislast haben und den Gewaltvorwurf beweisen müssen.

 

WS Gewaltprävention – Auftrag der Familienbildung?!

Referent*innen: Bettina Schade, Erzbischöfliches Ordinariat Berlin und Dr. Verena Wittke, AWO Bundesverband e.V.

Ausgangspunkt dieses Workshops war die Frage, wie Familienbildung gemäß ihrem Auftrag aus § 16 SGB VIII junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereiten und Wege gewaltfreier Konfliktlösung eröffnen kann, aber auch, welche Rahmenbedingungen und Kooperationen notwendig sind. Der Impuls von Bettina Schade ( Referentin Familienpastoral, Erzbischöfliches Ordinariat Berlin) zeigte auf,

welche Rolle die Art der Kommunikation von Partner*innen im Hinblick auf Gewalt in Partnerschaften einnimmt

dass Familienbildung schon jetzt durch ihre Angebote insbesondere zur Stärkung von Erziehungs- und Beziehungskompetenz Familien, Eltern und Kinder von Anfang an darin unterstützt, innerhalb der Familie wertschätzend und einfühlsam miteinander umzugehen und sowohl eigene Bedürfnisse als auch die anderer Familienmitglieder zu erkennen,  zu respektieren und miteinander in Einklang zu bringen.

Im anschließenden Austausch wurde deutlich, dass junge Menschen auch im Vorfeld dauerhafter Partnerschaften stärker als bisher eine Zielgruppe solcher familienbildender Angebote sein sollten, die es ihnen ermöglichen, sich mit ihren Vorstellungen von Partnerschaft und Ehe, eigenen Bedürfnissen und Erwartungen, aber auch eigenen Erfahrungen und Konfliktlösungsstrategien auseinanderzusetzen. Mögliche Kooperationspartner*innen können z.B. Schulen, aber auch Einrichtungen der Jugendarbeit sein. Auch die Sozialpädagogische Familienhilfe ist eine wichtige Akteurin in der Prävention von Partnerschaftgewalt, weil sie unmittelbar in den Familien tätig ist und durch das eigene professionelle Handeln Strategien gewaltfreier Konfliktlösung vorgelebt und vermittelt werden können. Deutlich wurde in der Diskussion aber auch, dass diese wichtige Aufgabe der Familienbildung mit ausreichend Ressourcen (Fortbildung, Finanzierung, Zeit für Kooperation und Vernetzung) hinterlegt sein muss.

 

WS Präventionsarbeit zu häuslicher Gewalt in Kindertagesstätten

Referent*innen: Michaela Kohnert, Annika Gieraths, AWO Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking mit Kinder- und Jugendberatung, Schwerin

Ist Präventionsarbeit zu häuslicher Gewalt in Kindertagesstätten möglich? Wie können pädagogische Mitarbeiter*innen sensibilisiert werden und welche Projekte bräuchten wir, um häusliche Gewalt zu enttabuisieren? Dieser Workshop bot einem gemeinsamen Austausch zu den genannten Fragen ein.

 

Ablauf und zentrale Inhalte

Zum Einstieg in den Workshop wurde das Buch „Vom Glücksballon in meinem Bauch“ vorgestellt.

Die Erfahrungen der Workshop-Teilnehmer*innen zur Präventionsarbeit wurden erfragt und diskutiert. Dabei zeigte sich die Bedeutung der Kitas für betroffene Kinder, da ihr Zuhause nicht mehr als sicherer Ort wahrgenommen und Hilfe von außen notwendig wird, um wieder Sicherheit zu erlangen. Bei den Mitarbeiter*innen in Kitas gibt es allerdings häufig Unklarheit oder Unsicherheiten, wie mit Verdachtsmomenten oder tatsächlichen Aussagen von Kindern umgegangen werden soll.

In Kleingruppen wurden anschließend ausgewählte Perspektiven eingenommen und besprochen.

 

Kernaussagen und wesentliche Diskussionspunkte

· Die beiden zentralen Bereiche im Arbeitsfeld Kita sind beim Gewaltschutz:
a) Wie unterstützen wir Kinder und Familien?
b) Wie unterstützen wir Fachkräfte?

· Gemeinsam wird diskutiert, dass das Vertrauen der Kinder im Setting Kita bedeutsam ist, damit die Kita ein sicherer und verlässlicher Ort für die Kinder wird. Ein so sensibles Thema wie Gewalt im häuslichen Umfeld sollte nicht nur anlassbezogen thematisiert werden, sondern als alltägliches Thema in der Einrichtung transparent kommuniziert werden, damit auch die Fachkräfte weniger Ängste und Unsicherheiten entwickeln. Bei der Beschäftigung mit Gewalt müssen die Gefühle und Beobachtungen der Kinder ernst genommen werden. In Kindertageseinrichtungen ist Prävention von entscheidender Bedeutung. Kitas haben einen Schutzauftrag zu erfüllen. Die Kinderrechte nach Schutz stehen im Vordergrund.

· Die Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen benötigen, um angemessen mit dem Thema umzugehen, insbesondere Empathie, Sensibilität und Fachkompetenz. Fortbildungen, Supervision und der Austausch untereinander sollten feste Bestandteile sein.

· Zum Schluss wird diskutiert, wie Kitas als offener Ort für Kinder und ihre Familien bestehen und damit auch präventiv wirken können. Da es beim Thema Gewaltschutz auch darum geht, transparent auf Themen, Beobachtungen und Gefühle zu reagieren (der Kinder und der Familien), ist es auch hilfreich, wenn die Kita von Beginn an Transparenz vorlebt. Eltern sollen zudem als Akteur in der Kindertagesbetreuung wahrgenommen und mitgenommen werden. Eine Kollegin erläutert daraufhin, dass sie das Konzept der offenen Kita seit Jahren so leben, dass das erste Kennenlernen der Bezugserzieherin mit dem neu aufgenommenen Kind als Hausbesuch stattfindet

 

WS Schwangerschaft und Geburt unter dem Eindruck von häuslicher Gewalt

Referent*in: Martina Kruse, Traumafachberaterin, Köln

Nach einer kurzen Erwartungsabfrage bei den Teilnehmer*innen zu diesem Workshop startete die Referentin mit einem Impulsvortrag: Schwangerschaft und Geburt erhöhen die Wahrscheinlichkeit für das erstmalige Auftreten von Gewalt innerhalb der Partnerschaft. Dies stellt ein hohes Risiko für die (werdende) Mutter bzw. für das Kind/die Kinder dar. Vor oder während der Geburt entstandene Traumatisierungen haben Einfluss auf die körperliche Gesundheit von Mutter und Kind, das Erleben von Schwangerschaft und Geburt und die Eltern-Kind-Bindung. Traumata können körperliche, psychische oder psychosomatische Folgen haben. Sie verändern Beziehungen: zu sich selbst, dem Kind, dem*der Partner*in und zu den Fachkräften, die in dieser Zeit begleiten und unterstützen. Gesellschaftliche Anforderungen an Familie, Elternschaft und Partnerschaft können gewaltbetroffene Frauen zunehmend verunsichern, schwächen und hemmen, sich aus der Situation zu lösen.

Die Referentin betonte nochmal, dass körperliche Symptome und scheinbar unangemessene Verhaltensweisen im Zusammenhang mit aktuellem Erleben von Partnerschaftsgewalt bzw. von erlebter Gewalt in der Vergangenheit stehen können. Mögliche Warnzeichen – sogenannte Red Flags – können bei Frauen zum Beispiel unklare Schmerzen oder psychosomatische Beschwerden, Schlafstörungen, Substanzmissbrauch, Ängste, Depressionen oder Zwänge sein. Nicht selten werden Schwangerschaften verheimlicht oder verdrängt. Bei Jugendlichen und sehr jungen Frauen, die oft selbst Gewalt (mit)erlebt und unsichere Beziehungen erfahren haben, kommt es vermehrt zu sog. Teenagerschwangerschaften. Ungewollt schwangere Frauen meiden oft Geburtsvorbereitungskurse oder die Hebammensuche. In Deutschland liegen bislang keine Zahlen zu erzwungenen Schwangerschaften vor.

Die Beobachtung ist, dass es seitens der sozialpädagogischen Berater*innen oft große Vorbehalte gibt, aktiv das Thema  Partnerschaftsgewalt im Kontext von Schwangerschaft anzusprechen, obwohl Warnzeichen wahrgenommen werden. Dabei kann für Frauen die Geburt auch ein Zeitfenster sein, um sich aus der Gewaltbeziehung zu befreien, da die Sorge um das Kind zunehmend an erster Stelle steht. Wichtig ist: Das Empfinden während der Schwangerschaft – ob es beispielsweise ambivalent oder eher negativ eingeschätzt wird – sagt nicht darüber aus, wie später die Mutterrolle gelebt wird. Sozialpädagogische Fachkräfte und Berater*innen können die Frauen in ihrem Weg unterstützen, um eine gewaltfreie Lebensperspektive zu entwickeln und umzusetzen. Es ist wichtig, auch den Partner und weitere Kinder in den Blick zu nehmen und zu prüfen, wie diese ebenfalls in die Beratung kommen können bzw. eigene Beratungsangebote zu vermitteln. Das Zusammenwirken von Gesundheitshilfe und sozialpädagogischer Hilfe fehlt noch oftmals, um Frauen in dieser Situation gut unterstützen zu können.

Buchempfehlung „Alles Gut—Das kleine Überlebensbuch“ von Dr. Claudia Croos-Müller

 

WS Erfahrungen der Präventionsarbeit zum Thema häusliche Gewalt an Schulen

Referent*innen: Anne Thiemann und Angela Pluschke, Koordinatorinnen bei BIG Prävention Berlin

Der Workshop war als Praxisworkshop konzipiert, sodass Teilnehmer*innen nicht nur ihre Erfahrungen aus der praktischen Arbeit in den Einrichtungen einbringen konnten, sondern insbesondere auch Methoden vorgestellt und diskutiert wurden, die bei Workshops der Referentin zum Einsatz kommen.

Wichtigste Erkenntnis des Workshops und gleichsam politische Forderung war, dass die Ausbildung zu Lehrkräften dringend auch die Vermittlung von Wissen und Methoden zum Kindergewaltschutz enthalten müsse. In der Praxis werden Fälle von HGW in der Schule zu oft nicht erkannt, weil Kinder als störend auffallen, die Lehrkräfte häufig aber nicht über die Kompetenzen und Zeit verfügen, das Problem angemessen zu behandeln. Auch die Vermittlung an professionelle Hilfen in der Schule (z.B. Schulsozialarbeit) oder im Sozialraum müsse zum Selbstverständnis der Arbeit an Schulen gehören.

Den Teilnehmenden wurde zur Vorbereitung und Durchführung von Gesprächen mit Kindern bei vermuteter häuslicher Gewalt ein Leitfaden zur Hand gegeben.

WS Perspektiven der Hilfen zur Erziehung

Referent*innen: Andrea Buskotte, Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen, Hannover und
Sabrina Hampe, Bereichsmanagerin Jugend- & Erziehungshilfen, AWO Bezirksverband Braunschweig e. V.

 

Der Workshop widmete sich insbesondere der Frage, welchen Aufgaben sich die Arbeitsbereiche der Erziehungshilfe sowie des Frauengewaltschutzes annehmen müssen, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, welche häusliche Gewalt miterleben.

Die Teilnehmenden aus den Bereichen der Erziehungshilfen und des Gewaltschutzes verdeutlichten, dass die unterschiedlichen Professionen und Primäraufgaben in ihrer Arbeit sich ergänzen müssen anstatt den Schutz von Kindern zu erschweren. Anstatt von einem „Dilemma“ Frauenschutz vs. Kinderschutz auszugehen, müssten eher gemeinsame Strategien professionellen Handelns etabliert werden. Hierzu ist es dringend notwendig die Vernetzung der Arbeitsfelder intensivieren: z.B. weiß Täter*innenarbeit wenig über Beratungsgegenstände der Erziehungsberatung, wenn Eltern beide Beratungen aufsuchen. Ausgehend davon, dass der Schutz des Kindes im Mittelpunkt steht, ist die Kinderperspektive herauszuarbeiten. So können Bedürfnisse des Kindes erkennbar werden und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Kinder erleben bei häuslicher Gewalt zwischen den Eltern, dass die „Einheit Familie“, die ihnen Schutz bieten soll, nicht mehr funktioniert.

Als problematisch wurde erkannt, dass diese Herangehensweise nicht institutionell etabliert ist, sondern immer wieder erstritten und erarbeitet werden muss. Als Good Practise wurde die Erarbeitung einer Leitlinie für Kinderschutz in Hannover (HAIP) genannt.

Die Workshop-Teilnehmenden berichteten, dass längst nicht alle zuständigen Behörden erkennen, dass miterlebte häusliche Gewalt das Kindeswohl gefährden kann. Jugendämter haben vielmehr sehr unterschiedliche Konzepte bei häuslicher Gewalt; manche Jugendämter verharmlosen. Somit haben auch Mitarbeitende der Jugendämter Fortbildungsbedarf. Kinder sind immer mit betroffen, wenn häusliche Gewalt festgestellt wird. Die Leistungserbringer der Hilfen zur Erziehung müssen es auch als ihre Aufgabe erkennen , dem Jugendamt aufzuzeigen, dass eine andere Hilfe dem Kindeswohl dient. Wichtig ist hier Beharrlichkeit gegenüber dem Jugendamt—dies ist verantwortliches Handeln und der professionelle Auftrag zum Schutz der Kinder bzw. Jugendlichen.

Als weitere Problematik wurde beschrieben, dass sich die örtliche Zuständigkeit der Jugendämter nach Aufenthaltsort der Personensorgeberechtigten richtet und daher eine Klärung zwischen dem neuen Aufenthaltsort der Mutter (Standort Frauenhaus) und ihrem bisherigem Aufenthaltsort notwendig ist, d.h. zwei Jugendämter müssen die Zuständigkeit zügig klären. 

Empfehlen Sie diese Seite weiter:

Laden...

© 2024 AWO Bundesverband e.V...